Ich begleitete eine ältere Dame im Pflegeheim. Meistens sah ich ihr an, dass sie Schmerzen hatte. Selbst die kleinste Berührung schien für sie unerträglich zu sein und sie war nicht ansprechbar. Ich saß einige Zeit ruhig bei ihr und überlegte, ob es etwas gab, womit ich ihr eine Freude machen könnte. Ich schaute mich um und entdeckte auf dem Nachttisch ein kirchliches Buch. Auf den ersten Seiten waren Gebete und ich lass ihr eins vor. Als ich Luft holte sagte sie „Amen“. Ich glaubte zuerst, dass ich mich verhört habe. Nein, ich hatte mich nicht verhört, denn ab sofort sagte sie immer Amen, wenn ich kurz innehielt und auch am Ende des Gebetes. Beim nächsten Besuch lass ich ihr wieder vor und als ich aufhören wollte wedelte sie mit der Hand, dass ich weiterlesen solle. Wenn sie genug hatte, schlug sie mit der Hand auf ihre Decke. Bei meinem letzten Besuch schlug sie schon auf die Decke als ich das Buch in die Hand nahm. So wusste ich, dass es heute keine Lesestunde gab. Ich blieb bei ihr sitzen, hatte eine Hand auf ihrem Bett liegen und nach einiger Zeit, legte sie ihre Hand auf meine. Nach kurzer Zeit nahm sie ihre Hand weg und für mich war klar, dass ich gehen solle. Ich beugte mich ein bisschen über sie, um mich besser verabschieden zu können und da wedelte sie wieder mit der Hand, berührte meinen herabhängenden Schal und sagte: “Schöner Schal“. An der Tür drehte ich mich nochmal kurz um und ich war mir sicher, dass es das letzte Mal war, dass ich die Dame im Pflegeheim besucht habe. Und so war es auch.
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